Karate in der DDR – Training im Verborgenen

Eines Samstag morgens, beim üblichen Kaffee nach dem Training, erzählten die „alten Herren“ von früher. Wie damals zu Mauerzeiten die Trainer aus West-Berlin in den Ostteil der Stadt gefahren sind, um dort heimlich Training zu geben, und von dem weißen Lada, der ihnen immer gefolgt sei.

Heimliches Training? Verfolgt von der Stasi? Das wollte ich genauer wissen. 44 Karateka aus der ehemaligen DDR haben mir von ihrem versteckten, aber unbeirrten Training erzählt, und wie der Staat letzen Endes nachgeben musste und Karate im April 1989 als Sportart der DDR zugelassen hat. Bis dahin galt:

„Die Sportart Karate existiert in der DDR nicht!“

Das war die Lesart des Politbüros. Ca. 3000 Karateka haben dort aber trotzdem trainiert und sogar mehrtägige Lehrgänge organisiert. Die Stasi hatte sie dabei immer im Visier:

Wohl für jeden Karateka in der DDR existierte eine Stasi-Akte – wegen des Sports.

So wurden Lehrgänge auch mal vergeblich organisiert, weil sie im letzten Moment noch von der Stadtverwaltung abgesagt wurden: „Sie sind ein Sicherheitsrisiko!“. Oder weil Sonntags zwei Herren in Grau vor der Halle standen, in der Samstags schon trainiert worden war, und behaupteten, „in die Halle regnet es rein“. Dann mussten die Karateka passen.  Warum eigentlich?

Sportlicher Erfolg, insbesondere Olympiaden, waren dem Staat sehr wichtig, und der DTSB, der Deutsche Turn- und Sportbund der DDR, war direkt mit dem Politbüro verbunden. Wichtige Funktionäre hatten Angst, ein attraktiver Sport wie Karate könnte vielleicht dem Judo oder dem Boxen Talente entziehen, und das wollte man nicht. Karate wurde als brutal diffamiert, als „kapitalistischer Mördersport“, der in der DDR unerwünscht sei.

Auch hatte man schlicht Angst, dass die Zivilbevölkerung besser kämpfen könnte als die Staatsorgane.

Denn Karate wurde als sehr effizient eingeschätzt, wurde aber offiziell weder in der NVA, noch bei der Polizei oder in Eliteeinheiten trainiert. Aber auch dort gab es Karate-Enthusiasten, die heimlich und in Eigenregie trainiert haben.

Sport in der DDR war staatlich organisiert, Schulen und Vereine, wie wir sie aus dem Westen kennen, gab es nicht. Karate war offiziell schlicht nicht existent. Wie trainiert man denn etwas, dass es nicht gibt? Indem man sich ein Lehrbuch besorgt. Die gab es im Westen ja schon Anfang der 70er Jahre, und Albrecht Pflügers zweiteiliges Standardwerk hatte fast jeder Ost-Karateka – oft als Kopie. Häufig musste die Oma oder die Mutter, die als Rentnerin frei in den Westen reisen konnte, die verbotene Westliteratur mitbringen. Selbst Masatoshi Nakayamas Werk mit acht Bänden fand so seinen Weg in den Osten – da hatte eine Mutter acht Mal das Risiko auf sich genommen, die Grenze mit Schmuggelgut zu passieren!

Dann brauchte der Ost-Karateka einen verschwiegenen Ort für sein Training. Das konnte ein Keller sein, ein Dachboden, die Kantine oder ein leeres Schwimmbecken – Hauptsache ein bisschen Platz ohne Beobachter. Bei dem autodidaktischen Training war jeder bald auch Trainer, man korrigierte sich gegenseitig nach den Abbildungen in den Lehrbüchern. Nach und nach fanden sich kleine Trainingsgruppen zusammen:
Aufgenommen wurden nur Leute, die man gut kannte oder denen man vertraute. Es gab Wartezeiten, denn vorsichtshalber wurden die Gruppen klein gehalten, und manchmal musste man sich erst mal bewähren, z.B. beim Hausbau helfen, um in eine Gruppe hinein zu kommen.

Das Training war oft etwas „raubautziger“ als heute: In den Büchern stand wenig über Entspannung, so war häufig Kime und Kraft vorherrschend: „Wir haben uns gegenseitig ganz schön auf den Latz gehauen“. Das wurde teilweise auch zu Disziplinierungszwecken eingesetzt und um die Mitstreiter zu testen: Wer hält durch, wer will unbedingt dabei sein und nimmt dafür etwas auf sich? Der eine oder andere Sportler musste dann nach der Wende ein wenig umlernen, aber das gehört im Karate ja ohnehin dazu.

Früher oder später kamen die Sportler allein an ihre Grenzen und kontaktierten Trainer aus dem Ausland. In allen anderen sozialistischen Ländern war Karate erlaubt. Und so fuhren die Ost-Karateka nach Polen, in die Tschechoslowakei oder nach Ungarn, um dort zu trainieren. Umgekehrt gaben Trainer von dort Unterricht in der DDR. Auch Trainer aus West-Deutschland und West-Berlin fanden auf verschlungenen Wegen Schützlinge im Osten.

Der Staat tat einiges, um Karate zu unterdrücken, von der Rund-um-die-Uhr Bespitzelung über den Versuch, ein Ehepaar auseinander zu bringen bis hin zur Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Davon hat sich aber kaum ein Sportler abschrecken lassen. Im Gegenteil: Mitte der 80er Jahren wurden auch die Karateka zunehmend selbstbewusster und schickten Anfragen und Eingaben an den DTSB, ans Radio und an das zuständige Ministerium, Karate offiziell zu erlauben. Durch die Bespitzelung durch die Stasi wusste der Staat, wie viele Bürger Karate praktizierten und sogar schon in einem Verband organisiert waren. Außerdem haben auch Polizisten, Soldaten und viele MFS- und Stasi-Mitglieder – heimlich – Karate trainiert.
Es waren dann wohl zu viele Leute, die Karate trainiert haben, um das Verbot weiter aufrecht zu erhalten. Im Februar 1989 entschloss sich dann der DTSB, Karate zu erlauben. Allerdings nicht als eigenständige Sektion, sondern es wurde dem Judo unterstellt und sollte durch den Judo-Verband der DDR organisiert werden. Dort sollte eine Prüfungs- und Wettkampfordnung entwickelt werden. Man tat so, als hätte es bis dahin kein Karate in der DDR gegeben. Es war also kein Freispruch erster Klasse, den das DDR-Karate Mitte 1989 erfuhr. Mit der Wende im November des Jahres wurde dann alles noch mal ganz anders, aber das ist eine andere Geschichte.

Text: Anja Röbekamp

Radiobeitrag Deutschlandradio Kultur (09.11.2014)…

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