Vom 23. bis zum 25.04.2010 war WKF-Chairman Tommy Morris im Rahmen einer Fortbildungsmaßnahme für die DKV-Kampfrichter zu Gast in Maintal. Aufgrund der durch den Vulkanausbruch in Island verursachten Unregelmäßigkeiten im Flugverkehr war bis kurz vor Lehrgangsbeginn nicht klar, ob die Maßnahme planmäßig würde stattfinden können. Glücklicherweise gestaltete sich die Anreise aus seiner Heimat Schottland für Tommy Morris aber problemlos.
Bereits zum zweiten Mal in Folge konnte Tommy Morris als Referent begrüßt werden. 2009 stand die Disziplin Kumite im Fokus der Fortbildung und schon damals hatte er die Teilnehmer durch sein großes Wissen und seine Erfahrung beeindruckt, aber auch durch teilweise unkonventionelle Ansichten für angeregte fachliche Diskussionen gesorgt. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen an den diesjährigen Lehrgang, der sich ausschließlich mit der Disziplin Kata befassen sollte.
Im Mittelpunkt stand die Frage nach der richtigen Anwendung der Kata- Bewertungskriterien gerade im Hinblick auf stilspezifische Unterschiede und Gemeinsamkeiten.
Die Fortbildung begann mit einem Theorieteil am Freitagabend. Tommy Morris zeigte mehrere Videoaufnahmen, um zu illustrieren, wie sich die Kata- Darbietungen im Laufe der Zeit gewandelt haben. Besonders thematisiert wurden die Tendenzen zur zeitlichen Ausdehnungen der Kata- Vorträge, zur athletischeren Ausführung von Techniken (z.B. Jodan Geri) auf Kosten der traditionellen Form bzw. Bunkai sowie die Vermischung und Durchwachsung der verschiedenen Stile. Vor allem letzterer Aspekt wurde im Plenum sehr angeregt diskutiert. Die Frage, wie nach Regelwerk richtig bewertet werden sollte, wenn unterschiedliche Stile miteinander in Konkurrenz treten und wie die aktuelle Praxis aussieht, war für viele von besonderem Interesse. Tommy Morris ging schließlich noch einen provokanten Schritt weiter: Ist das Kata- Regelwerk noch zeitgemäß? Bzw. wenn wir die Athleten nicht ändern können, müssen wir dann vielleicht die Regeln ändern? Mit einigen Ideen zu möglichen zukünftigen Entwicklungen und Alternativen endete der theoretische Teil.
Fast den kompletten Samstag verbrachten alle Teilnehmer im Gi. Als Referenten standen neben Tommy Morris (Shito- Ryu) noch BT Efthimios Karamitsos (Shotokan) und Ludger Niemann (Goju-Ryu) in jeweils zwei Einheiten à 45 Minuten zur Verfügung. Ziel war nicht das Erlernen von neuen Kata, sondern die Auseinandersetzung mit zentralen Passagen und typischen Elementen, um das Gespür und Verständnis für die verschiedenen Stile zu schulen.
Am Sonntagmorgen schließlich fand ein kleiner Vergleichskampf des Bundeskaders statt, um die Ergebnisse in die Kampfrichterpraxis zu übertragen. Tommy Morris gab hierbei individuelle Rückmeldungen an Athleten, Trainer und Kampfrichter.
Fazit: Einmal mehr ist es Tommy Morris gelungen, die Lehrgangsteilnehmer ganz in den Bann zu schlagen. Egal ob in Uniform, im Gi oder in Zivil: Er ist einfach authentisch. Tommy Morris ist nicht nur ein erfahrener Funktionär und ein erfahrener Kampfrichter, der das Wettkampfgeschehen von den Anfängen an erlebt und beeinflusst hat wie wenige andere sonst, sondern er ist auch ein Karateka durch und durch. Nie vermittelt er staubtrockene Theorie, sondern haucht ihr durch zahlreiche Anekdoten Leben ein. Stets ist er interessiert an neuen Ideen und überrascht mit provokanten Thesen, ohne dabei die Wurzeln zu vergessen. Im Training begeisterte er alle durch realistische Bunkai. Tommy Morris ist ein lebendes Beispiel dafür, dass Kampfsport und Kampfkunst Hand in Hand gehen können und zwar ein Leben lang.
Sowohl die Kampfrichter als auch die Trainer und Athleten konnten aus dieser Veranstaltung viel persönlichen Nutzen ziehen und neues Wissen und zahlreiche Anregungen mit nach Hause nehmen. Die Atmosphäre war vor allem geprägt durch fachliche Diskussionen – dies war nur möglich auf Grund der überschaubaren Teilnehmerzahl. In diesem Jahr richtete sich die Fortbildung nämlich nur an die Kampfrichterreferenten der einzelnen Bundesländer, die als Multiplikatoren das neue Wissen an ihre Kollegen/innen weitergeben sollen. Eine Entwicklung, die trotz der genannten Vorzüge von vielen Kampfrichtern/innen kritisch gesehen wird.
Foto: Roland Lowinger