„Ich wollte immer etwas bewegen im Karate.“ – Ulrich Heckhuis (8. Dan) im Interview

Goju RyuInterview

(EMA) Beinahe zwei Jahrzehnte lang stand Ulrich Heckhuis als Präsident an der Spitze des Karate-Dachverbandes Nordrhein-Westfalen e.V., bevor er sein Amt in diesem Frühjahr an Nachfolger Rainer Katteluhn abgab. Er ist außerdem Vizepräsident des Deutschen Karate Verbandes, war Präsidiumsmitglied der Dan-Akademie,  Stilrichtungsreferent und Teamchef Goju-Ryu, Kampfrichter und Gründer zahlreicher Dojos – vielfältige Stationen eines bewegten Karate-Lebens. Überheblichkeit ist ihm dabei fremd: „Uli“ hört stets zu und wägt ab, bevor er spricht. Die Aufmerksamkeit sucht er nicht. Und so kam auch dieses Interview erst mit etwas Nachdruck zustande…

Uli, seit dem 15. März diesen Jahres bist du nicht mehr KDNW-Präsident. Vermisst du das Amt und deine Tätigkeiten schon? Was machst du mit der neu gewonnen Freizeit?
Erstmal ist erstaunlich, dass ich jetzt doch deutlich weniger Telefonanrufe und Termine habe. Das ist ganz schön. Meine Frau ist seit Anfang Januar zu Hause und wir bauen um, da liegt noch viel Arbeit vor mir und ich kann die freie Zeit dort also gut einsetzen.

Du warst 18 Jahre lang KDNW-Präsident. Was war deine Motivation für dieses ausdauernde Engagement für das Karate in NRW?
Dafür muss man eigentlich über den KDNW hinaus auf meinen gesamten Karate-Werdegang blicken. Ich bin 1972 mit Karate angefangen und damals galt für mich im Grunde nur: „Karate in der Sporthalle.“ Dann haben wir uns irgendwann im Goju-Ryu-Verband organisiert und dieser ist dann in den KDNW eingetreten. Schließlich gab es die Fusion und an Satzungsfragen war ich immer interessiert, so dass ich langsam in die Situation geriet, Funktionär zu sein – erst als Stilrichtungsreferent und viel später dann als KDNW-Präsident. Rudolf Riegauf hatte mich seiner Zeit gefragt, ob ich diesen Job machen will und ich habe mir gedacht: „Ja, warum eigentlich nicht?“ Ich wollte immer etwas bewegen im Karate. Und es war eine schöne Zeit, muss ich sagen. Aber nach 18 Jahren war es dann auch letztlich genug. Ich habe schon immer gesagt, dass ich mit 60 Jahren meine Tätigkeiten als Funktionär zurückschrauben würde und nun bin ich dabei.

Das heißt, deine anderen Ämter, z.B. das des Vizepräsidenten des DKV, wirst du auch nicht mehr auf unbestimmte Zeit ausüben?
Nein, ich habe immer gesagt, dass ich so um die 60 aufhöre. Ich habe bereits die Dan-Akademie, dort war ich im Präsidium, sowie den Stilrichtungsreferenten Goju-Ryu aufgegeben – das war vor rund zwei Jahren. In diesem Jahr folgte dann der KDNW-Präsident und 2016 wird es der DKV-Vizepräsident sein. So ist die Planung.

Aber du hörst nicht etwa mit Karate auf, oder?
Nein, ganz im Gegenteil! Ich möchte eigentlich wieder mehr ins Dojo gehen und wieder mehr Karate praktizieren, weil die ganzen Funktionen doch viel Zeit verschlucken,  Termine einen binden usw. Das tut auch dem Dojo nicht gut.

Magst du etwas über dein Dojo erzählen?
Mein Dojo hat sich so entwickelt wie viele Dojos im DKV. Wenn man 30 oder 40 Jahre zurückgeht, dann war es von Männern dominiert. Irgendwann sind die Kindergruppen dazugekommen und das Frauenkarate ist viel stärker geworden. Wir haben heute so um die 34% Frauenanteil im DKV. Das heißt, alles ist zielgruppenorientierter geworden. Die neueste Tendenz ist ja, auf Grund des demographischen Wandels, die Jukuren bzw. Älteren einzubeziehen. Und genau diese Entwicklung hat auch mein Dojo mitgemacht. Vom reinen Männersport zum zielgruppenorientierten Training.

Wieviele Mitglieder habt ihr aktuell?
Wir haben immer so um die 120 Mitglieder. Das ist nicht besonders viel, aber wir waren schon immer sehr leistungsorientiert. Aus dem Dojo sind 220 Dan-Grade hervorgegangen. Wir waren in der Bundesliga mit der Damen-Mannschaft Deutscher Vizemeister. Die Herren waren auf dem dritten Platz. Mit unserer Kata-Mannschaft haben vier Mal den Deutschen Vizemeister gestellt und wir hatten etliche Einzelplatzierungen. Ich würde also sagen: „Klein aber fein.“

Warst du selbst auch als Wettkämpfer aktiv?
Ja, war ich. Allerdings vor der Fusion der Verbände. Als ich 1972 angefangen habe, war das alles noch nicht so organisiert, zumindest nicht in der Goju-Ryu-Szene. Man ist mal dahin gefahren, mal hierhin gefahren. Wir waren in Dänemark, in Holland und natürlich in Deutschland unterwegs. Aber es war eben nicht so durch den Verband organisiert wie heute.

Die ewige Frage: „Karate – Kampfkunst oder Kampfsport?“ Wie siehst du das, wo positionierst du dich?
Ich glaube, dass Karate auf einer Zeitschiene zu betrachten ist. Diese Zeitschiene bringt Veränderungen mit sich. Es gibt eine Spanne, da ist der Sport sehr wichtig. Wenn man im aktiven Alter ist, so vom Jugendlichen bis Ende zwanzig oder auch noch etwas darüber hinaus. Aber danach muss Karate „mehr bringen“, glaube ich. Und dann stellt sich der Aspekt der Kampfkunst stärker in den Vordergrund. Von daher kann man beides nicht trennen, sondern muss es auf der Zeitschiene betrachten.

Leider kommt es immer wieder vor, dass ehemalige Wettkämpfer den Übergang nicht schaffen und nach ihrer aktiven Zeit aus dem Karate wegbrechen. Wie kann man dem begegnen und den Bogen schlagen?
Es braucht eine breite Ausbildung in der Anfangsphase, glaube ich. Dem entspricht auch das Multimedia-Karate, welches in Italien entwickelt wurde, womit man den Kindern eine weite Grundausbildung bietet und sie flexibel trainiert. Dann folgt eine Spezialisierung über eine gewisse Zeit und im Anschluss an diese Wettkampfphase wieder die Öffnung hin zur Kampfkunst. Wenn man aber stattdessen zu früh und zu sehr in eine Richtung geht und kann dies später nicht mehr kompensieren, brechen die Leute weg.

Du bist 1972 zum Karate gekommen – aus welcher Motivation heraus?
Mir ist es gegangen wie wohl vielen: Ich wollte Selbstverteidigung erlernen. In Rheine hatte damals eine neue Gruppe aufgemacht und ein Freund nahm mich mit hin. Ich denke aber, dass der Aspekt der Selbstverteidigung nur eine gewisse Zeit lang bindet. Irgendwann muss man sehen, dass Karate doch deutlich mehr ist als nur Selbstverteidigung: Körperbeherrschung, Dynamik und vieles mehr.

Wie hat sich das Karate-Training von damals bis heute gewandelt?
Ich war damals ungefähr 18 Jahre alt und das Training war deutlich auf Kondition und Kraft ausgerichtet. Heute ist alles viel systematischer geworden. Die Techniken sind ausgefeilter und die Bewegungsstrukturen anders. Zum einen bedingt durch die Bewertungssysteme, die sich andauernd verändern, zum anderen ist aber das Karate auch insgesamt deutlich flexibler geworden als damals und nicht mehr nur auf Kraft ausgerichtet, wie es zumindest in meinen Anfangszeiten noch war.

Bei wem hast du angefangen, wer war dein erster Lehrer?
Mein erster Lehrer war Frank Beeking aus Rheine. Das war auch das einzige Goju-Ryu-Dojo im ganzen Umkreis. Als ich dann irgendwann Dan-Träger war, dachte ich mir, ich müsste mal ein paar Dojos gründen. Das habe ich dann auch gemacht: Insgesamt acht Vereine von hier bis hinter Münster. Zu der Zeit war mir wichtig, Karate zu verbreiten und als Trainer tätig zu sein. Dann kam die Bundesliga-Zeit – auch ein sehr wichtiger Abschnitt für mich und unser Dojo. Heute glaube ich, dass jeder, der beim Karate dabei bleiben will, seine spezifische Bewegungsstruktur finden muss. Man wird ja nicht beweglicher und auch nicht jünger. Shuzo Imai hat mir mal gesagt, er habe für sich „einen guten Weg gefunden“. Das fand ich sehr interessant. Ich glaube, man muss sich verändern im Karate. Wenn man bei einem kraftvollen, dynamischen Karate bleiben möchte, wie man es in jungen Jahren praktiziert, wird man es so nicht bis ins hohe Alter ausüben können.

Zwei Namen hast du schon genannt.  Welche Personen haben dich auf deinem Karate-Weg besonders geprägt oder beeindruckt, seien es Lehrer, seien es Weggefährten?
Frank Beeking war mein erster Trainer und hat mich damals schon fasziniert. Frank ist Schüler von Fritz Nöpel und das ist die direkte Linie. Fritz ist schon außergewöhnlich geprägt. Er hat eine sehr offene Haltung. Das heißt, er hat dafür gesorgt, dass seine Schüler sich entwickeln konnten und hat nicht versucht, sie in ein enges Korsett zu schnüren. Er hat ihnen die Möglichkeit gegeben, sich individuell zu entwickeln. Und das ist bis heute so geblieben, was ich sehr an ihm schätze. Davon abgesehen: Er ist heute 79. Und wenn man ihn sieht: Alle Achtung! Wenn er eine Technik schnell macht, ist man einfach nur verblüfft. Mit Blick auf meine Wettkampfzeit, gab es da natürlich auch Leute, die ich sehr gut fand. Einer davon ist heute Bundestrainer.

Du meinst Thomas Nitschmann?
Ja. Was er gemacht hat, hat mir immer gut gefallen. Man muss immer schauen, in welcher Phase auf dem Karate-Weg man sich gerade befindet und an wem man sich da orientieren kann.

Welche Highlights oder Schlüsselmomente sind dir aus den vielen Jahren, die du nun Karate praktizierst, besonders in Erinnerung geblieben?
Da gibt es viele Momente und ich möchte keinen davon an erste Stelle setzen. Ich war viele Jahre auch Chef des deutschen Goju-Ryu-Teams und da sind wir international gestartet – ob das jetzt in Lissabon war oder in Kaliningrad… das waren schon tolle Erlebnisse und eine interessante, schöne Zeit. Intensiv. Ich war aber auch sehr gerne Kampfrichter. Lange Zeit dachte ich: „Das ist meine beste Lizenz.“ Weil man pausenlos analysiert, warum und wie was funktioniert und warum wer gewinnt. Mit der Zeit hat sich dann aber mein Interesse verschoben. Natürlich kann man auch 30 oder 40 Jahre lang Kampfrichter sein, aber bei mir gab es eben unterschiedliche Abschnitte mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Jetzt hast du gerade deine Prüfung zum 8. Dan abgelegt und dir wurde die Ehre zuteil, dass Fritz Nöpel dir außerdem den Titel „Hanshi“ verliehen hat. Was bedeutet das für dich?
Sagen wir mal so: Beim Titel „Hanshi“ kommt es auch darauf an, wer ihn verleiht. Fritz ist natürlich ein Vertreter des traditionellen Karate. Und ich war in meiner Laufbahn ja doch sehr auch dem sportlichen Karate zugetan. Dass Fritz mir dann den Titel „Hanshi“ verleiht, das ist nochmal eine besondere Würdigung und Ehre für mich. Ein Zeichen „zurück zu den Wurzeln“.

Hast du selbst mal in Japan trainiert?
Nein, ich war noch nie in Japan. Es stand schon ein paar Mal auf meiner Agenda. Aber es kam immer etwas dazwischen.

Was machst du persönlich lieber: Kata oder Kumite? Wofür schlägt dein Herz mehr?
Das ist eine ganz schwierige Frage, weil mit beiden Disziplinen unterschiedliche Typen verbunden sind. Die Kata-Leute sind von der Statur her meist kleiner, die Übersetzungen sind anders. Kata hat mich schon immer fasziniert, auch ihre Entwicklungen. Aber ich bin für Kata viel zu groß, als dass es meine Leidenschaft hätte werden können. Fürs Kumite habe ich dagegen ganz gute Voraussetzungen: Lange Arme und lange Beine und ich bin nicht unbeweglich. Es macht mir auch immer Spaß. Wenn ich mein Interesse beziffern sollte, würde ich 5 Punkte für Kata und 6 Punkte für Kumite geben.

Hast du eine Lieblingskata?
Ich hatte viele. Das hat sich im Laufe der Zeit immer verändert.

Hito kata san nen – drei Jahre für eine Kata?
So in etwa (lacht).

Vervollständige den Satz „Karate ist…“
Karate ist lebendig. So versuche ich auch, die Techniken auszuführen, das Training zu gestalten. Kein starres Karate, sondern ein lebendiges Karate. Das kann man dann auch bis ins hohe Alter machen, glaube ich.

Hast du ein Motto oder einen Leitspruch?
Durch Karate kann man innere Ruhe und Ausgeglichenheit erlangen und das ist anzustreben. Ich könnte da Laotse zitieren: „Wer seine Mitte behält, der ist von Dauer.“ Das ist tief verwurzelt im Karate. Anspannung und Entspannung. Dadurch eine gewisse innere Zufriedenheit zu entwickeln. Über die äußere Schule, die Bewegung, Einfluss zu nehmen auf die Gemütslage. Das ist mehr ein Ziel als ein Motto.

Bist du jede Woche im Dojo?
Sagen wir mal so: Früher war ich sieben Mal pro Woche im Dojo, jetzt nur noch drei Mal (lacht).

Was wünschst du dir für deine persönliche Karate-Zukunft?
Natürlich möchte ich noch viele Jahre Karate betreiben können. Denn man weiß ja nicht, ob man immer gesund bleibt. Aber das wäre mein Wunsch.

Und für das Karate im KDNW und DKV?
Es täte der Karate-Szene in Deutschland gut, wenn Karate olympisch werden würde. Das ist das eine. Das andere ist, wenn man olympisch ist, darf man nicht weg von den Wurzeln. Aber ich glaube, das kann der DKV und das können seine Landesverbände. Inzwischen haben wir so viele hohe Dan-Träger, dass man den Sport intensiv olympisch betreiben könnte und gleichzeitig die Kampfkunst weiterentwickeln. Das wäre sehr wertvoll.

Rainer Katteluhn ist ja dein Nachfolger als KDNW-Präsident geworden. Gibt es noch etwas, das du ihm mit auf den Weg geben möchtest? Einen Ratschlag oder Tipp?
Ich würde es nicht Ratschlag nennen. Rainer hatte in seiner Rede auf dem Verbandstag wichtige Punkte genannt, die ich genau so sehe wie er. Er hat gesagt, er möchte Präsident aller Stilrichtungen und aller Fraktionen sein. Und das ist der richtige Ansatz. Nun ist er erstmal der Sender, der die Nachricht in den Verband gibt. Dann gehören natürlich auch noch die Empfänger dazu. Und da kann ich eigentlich nur wünschen, dass das auch klappt. Denn es liegt nicht nur am Sender, sondern auch an den Empfängern und daran, ob sie bereit dazu sind.

Gibt es noch etwas, das du sagen möchtest?
Ich hatte es schon auf dem Verbandstag gesagt, möchte es aber gerne hier noch einmal wiederholen: Wir waren ein sehr gutes Team im KDNW über die 18 Jahre, wir haben gut zusammen gearbeitet und es war eine schöne Zeit und dafür bin ich dankbar.

Das klingt doch schön. Danke für das interessante Gespräch.

Interview und Foto: Eva Mona Altmann

Video…

Die nächsten Termine:

juli

18jul(jul 18)10:0029(jul 29)18:00AusgebuchtFerienfreizeit für Kids von 12 bis 17 JahrenKroatien, Campingplatz Kozarica

august

15aug(aug 15)11:0018(aug 18)13:00AusgebuchtTrainerassistent:innen AusbildungNettetal, Sport- und Erlebnisdorf Hinsbeck

17aug10:0017:30Kata/Bunkai-Lehrgang mit D. Herbst und T. SchmitzBonn, Sporthalle der Gottfried-Kinkel Grundschule

17aug14:0016:00Stilrichtungslehrgang ShotokanBünde

18aug10:0012:00Stilrichtungslehrgang ShotokanBudokan Bochum e. V.

25aug10:0014:00Stilrichtungslehrgang Goju-RyuKamen, Turnhalle am Gymnasium

Ähnliche Artikel:

Menü
X