Wenn ich als Prüfer vor einer Gruppe stehe und in die erwartungsvollen aufgeregten Gesichter der Prüflinge schaue, gehen mir viele Gedanken durch den Kopf. Ich stehe gerade vor so einer Gruppe: 15 Karateka stellen sich der Herausforderung, ihren ersten Dan im Karate zu machen und 14 von ihnen sind auch gleichzeitig meine Schüler. Da ist der 16-jährige Schüler voller Power und noch ganz am Anfang seines Lebens. Daneben steht, mit fast 82 Jahren, der Senior, der schon so viel erlebt hat. Da steht jeder mit seinem Leben: Der Student/in, die Mutter, der Arzt, der Geschäftsmann und … Ich will sie gar nicht auf ihre Berufe reduzieren, denn die sind hier nicht wichtig. Wir haben gemeinsam trainiert und uns auf diesen Tag vorbereitet. Jeder, der da steht, ist etwas Besonderes! Diese Gruppe ist etwas ganz Besonderes!
Viele Geschichten aus dem Leben der Prüflinge habe ich in den letzten 10 Jahren gehört. Darf man sie hier erzählen? Ich finde ja! Zuerst hat der Opa seinen Enkelsohn zum Training gebracht und hat dann selbst angefangen Karate zu trainieren. Jetzt hält er seinen Schwarzgurt in den Händen und kann ihn stolz dem Enkelsohn präsentieren. Die Mutter, mit zwei Kinder, Ehemann, beide berufstätig in Vollzeit, die mir sagt, sie möchte sich beim Kumite mal so richtig auspowern. Wow! Der Arzt der im Training mal abschalten möchte, der mir immer Tipps gibt, was alles beim Gegner geschädigt wird, wenn man sich so oder so selbstverteidigt. Ich habe viel von ihm gelernt. Da sind die Geschichten von Lahmen, die wieder gehen können und Krebspatienten, die ihrer Krankheit trotzen, weil sie einfach Spaß am Karate haben. Ja da kommen die Sprüche: Bis die Kiste kommt, mach‘ ich Karate! Und das mit fast 80! So was macht auch den Trainer hinter dem Prüfer stolz. Ich konnte mich heute während der Prüfung als Karateka zurücklehnen und genießen, als Prüfer habe ich genau beobachtet. Und was ich gesehen habe, hat mich mit Stolz erfüllt: Alle haben ihr Bestes gegeben und heute im hier und jetzt ist Karate ihr Leben. Es war und ist eine Freude und Ehre für mich!
Also, was macht Karate so faszinierend? Ich glaube die Bandbreite im Karate ist es. Jeder kann sich das herausziehen, was er braucht, was ihm Spaß macht und wo er sich gut fühlt und Karate gemeinsam in der Gemeinschaft erleben. Ich bin froh, in dieser Gemeinschaft von Karateka zu sein.
Thomas Prast 5.Dan
A -Prüfer SOK
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