„Die Charakterschulung ist das wichtigste im Karate-Do.“ – Hanshi Fritz Nöpel (10. Dan) im Interview

Goju RyuInterview

Fritz Nöpels abenteuerliche Lebensgeschichte böte den idealen Stoff für einen abendfüllenden Spielfilm. Man kann nur staunend lauschen, wenn der heute 80-Jährige von dem jungen Mann erzählt, der er einst war und der auszog – mit dem Fahrrad –, um die Olympischen Spiele in Melbourne zu sehen, 26 Länder bereiste, eine Privataudienz bei Chiang Kai Shek hatte und schließlich zehn Jahre lang Karate-Do in Japan lernte, bevor er mit Frau und Kind nach Deutschland zurückkehrte und das Yuishinkan-Goju-Ryu mitbrachte. Die Kampfkunst habe ihm zu einer positiven und furchtlosen Lebenseinstellung verholfen, verrät er mir. Seit nunmehr 60 Jahren hat er sich dem Karate-Do verschrieben und wurde jüngst mit dem 10. Dan und der DKV-Ehrennadel in Platin ausgezeichnet. Eine willkommener Anlass für ein Interview, bei dem man unversehens selbst auch mal zur Interviewten werden kann.

Interview Eva Mona Altmann
Lieber Fritz, noch einmal persönlich ganz herzlichen Glückwunsch zum zehnten Dan und zur DKV-Ehrennadel in Platin! Wie hast du diese besondere Ehrung erlebt und empfunden?
Danke dir! Ja, also das war wirklich eine völlige Überraschung! Gut – wer macht schon 60 Jahre Karate? Und ich habe natürlich auch etwas bewirkt und verfüge über ein großes Wissen. Trotzdem habe ich das nicht erwartet. Erstaunlich finde ich, dass diese Urkunde tatsächlich aus Okinawa stammt. Sie wurde mir dann von der EGKF durch Pieter Harms verliehen. Das war schon eine tolle Ehre für mich, muss ich sagen. Ich wusste gar nicht, was ich sagen soll. Das ist eine Anerkennung für mich und die akzeptiere ich. Aber ich hebe jetzt nicht ab, sondern bin nach wie vor der, der ich bin.

Du blickst inzwischen auf sagenhafte 60 Jahre Karate-Do zurück. Du hast das sicherlich schon sehr, sehr oft erzählt – aber wie bist du überhaupt zu dieser Kampfkunst gekommen?
Als ich das erste Mal die Kampfkunst, die wir Karate-Do nennen, sah, war ich tief beeindruckt und zugleich fasziniert. Das war im Juni 1956, mein Kamerad und Reisegefährte Alfred und ich waren im YMCA Hotel in Colombo, Ceylon, heute Sri Lanka, abgestiegen. Ein junger Japaner lehrte dort in einem Seminarraum auf ein paar Matten Judo und wir durften am Training teilnehmen. Anschließend zeigte uns der Japaner Karate-Do. Natürlich machten wir sofort mit. Seit dieser Zeit ist Karate-Do für mich eine Lebensphilosophie.

Deine Geschichte ist so abenteuerlich, dass du sie uns bitte noch einmal erzählen musst: Wie hatte es dich überhaupt im Jahr 1956 nach Colombo verschlagen?
Unser Ziel war es, mit dem Fahrrad zur Olympiade nach Melbourne, Australien zu fahren. Nach fünf Wochen Wartezeit in Colombo bekamen wir endlich das Visum für Australien, da wir aber noch genügend Zeit hatten, reisten wir wieder nach Indien zurück und wollten nun über Indonesien nach Australien. Einmal von der Kampfkunst gepackt, suchten wir in jeder Stadt, in der wir uns länger aufhielten, nach Gelegenheiten, Karate oder etwas in der Art zu trainieren. So fanden wir z.B. in Madras, Indien eine Kampfkunst, die man Kalarippayat und Mushti-Yuddha nannte – natürlich durften wir mitmachen, aber es war ganz anders. Auch in Kuala Lumpur und in Singapur fanden wir Kampfkunst – und zwar das chinesische Pakuan Chuan, was dem Karate-Do sehr ähnlich ist. Diese Kampfkunst sahen wir auch in Hongkong und Taipeh in verschiedenen Formen wieder. Und überall durften wir teilnehmen. In Taiwan trainierten wir mit der Armee. Der Höhepunkt war die Audienz mit dem Generalissimus und Staatsführer Taiwans, Chiang Kai Shek und dessen Sohn Wego Chiang. Auch in Indonesien wurde uns eine große Ehre zuteil: Wir wurden zweimal von Präsident Sukarno eingeladen.

Und dann bist du schließlich nach Japan gekommen…
Im Winter 1957 trafen wir mit dem Schiff in Kobe, Japan ein. Meine Erwartungen waren sehr groß –  ich hoffte, nun endlich Karate-Do zu sehen und zu lernen. Bei unserer Ankunft warteten viele Reporter auf uns und befragten uns über unsere Reise. Welch Glück für mich – unter ihnen war ein Karate-Do-Kenner, der mich zu einem Treffen mit einem bekannten Meister einlud. Er führte mich zu einem großen alten japanischen Haus mit einer hohen Mauer und einem imposanten Tor. Die Tür schob ein freundlicher Herr von etwa 35 Jahren auf und bat mich herein. Das war meine erste Begegnung mit Tomoharu Kisaki.

Fritz Vita…dein Sensei, der dich fast 40 Jahre begleiten sollte und dessen Yuishinkan du bis nach Deutschland gebracht hast – eine schicksalhafte Begegnung! Wie ging es weiter?
Zunächst hörte er sich aufmerksam meine Reisegeschichten an und war besonders beeindruckt von meiner Suche nach den Kampfkünsten in den verschiedenen Ländern. Auf meine Bitte hin zeigte mir der Meister das Dojo, welches sich ein Stück von seinem Wohnhaus entfernt befand. An die schönen und schmuckvollen Übungshallen der chinesischen Kampfkünste gewöhnt, die sich oft in einer Tempelanlage befanden, war ich etwas enttäuscht – das Dojo war sehr schlicht und einfach. Es bestand ganz aus Holz, war etwa 25 Meter lang und vielleicht zwölf bis 14 Meter breit. Es gab eine kleine Umkleide und ein Office für den Meister. Keine Duschen, sondern nur zwei Tonnen, in denen das Regenwasser gesammelt wurde. Vor dem Dojo standen vier Makiwara, an denen einmal pro Woche unter der Anleitung eines Dan-Trägers trainiert wurde. Auf der Kamiza-Seite des Dojos stand ein Shinto-Schrein mit dem Bild des Goju-Ryu-Meisters Myagi Chojun, bei dem Meister Kisaki gelernt hatte. Auf einer Hallenseite war ein langer Spiegel angebracht und in einer Ecke lagen verschiedene Gerätschaften für Konditionsübungen. Auf beiden Seiten gab es kleine Fenster, die man aufschieben konnte. Es gab keine Heizung und in den Wintermonaten konnte es sehr kalt werden. Deswegen gab es ein spezielles Wintertraining und ein Sommertraining. Über dem Eingang hing ein Schild mit einer Art schwarzem Männchen. Auf meine Frage hin erklärte man mir, dass Meister Myagi jedem Meister der ersten Stunden – das waren die Meister Yamaguchi, Yushita, Ushiage, Kimura, Zusuki und eben Kisaki – den Auftrag erteilt hatte, ein Dojo zu gründen und dafür ein eigenes Zeichen und einen eigenen Namen zu wählen. Meister Kisaki hatte eben dieses Männchen mit gespreizten Armen und Beinen gewählt und den Namen >Yuishinkan< – >die Halle des tapferen Herzen<. Ich spürte Freude und ein wenig Stolz bei Meister Kisaki, als er davon erzählte. Der Weg des Yuishinkan sollte sich später in der ganzen Welt verbreiten.

KisakiNöpel1958 (Foto: Privat)Wie müssen wir uns das Training bei Meister Kisaki in Japan vorstellen?
In diesem Dojo, das ich gerade beschrieben habe, sollte ich in den nächsten Jahren sehr viel Schweiß lassen. Die ersten Tage dort werde ich nie vergessen: Meister Kisaki hatte mich so freundlich aufgenommen, zeigte nun aber beim Training wenig Interesse für mich. Später erfuhr ich, dass er dies mit allen Neueinsteigern so machte. Er testete ihren Durchhaltewillen für circa sechs Wochen. Hielt man durch, war der Bann gebrochen und man wurde ein Karate-Do-Ka, von allen angenommen und freundlich behandelt. Das Training war manchmal die reinste Hölle, aber es machte mir mehr und mehr Spaß. Kondition und Ausdauer wurden besser und ich konnte bei allen Übungen mithalten. Nun verstand ich auch, was mit >Dojokun< gemeint war. Die Etikette im Dojo, das Verhalten untereinander und die Höflichkeit haben mich bis heute stark geprägt. Nach dem Training wurde das Dojo stets von uns gereinigt. Die dafür benutzten Lappen mussten danach ausgewaschen und zum Trocknen auf Bambusstangen gehängt werden. Hierfür waren drei Personen erforderlich. Sie wurden nicht einfach benannt, sondern über eine Ausdauerübung bestimmt. Die ersten drei, die beim Handstand an der Wand aufgaben, waren die Lappenwäscher. Übungen zur Kondition und Abhärtung waren überhaupt ein wichtiger Bestandteil des Trainings. Dabei ging es aber nicht in erster Linie darum, den Körper zu stärken, sondern vielmehr auch den Willen und die Entschlossenheit. Als mein Freund und Reisegefährte Alfred 1960 tödlich bei einem Tauchgang verunglückte, war ich darüber natürlich sehr traurig, denn wir hatten viel zusammen erlebt und gesehen und hatten noch sehr viele Pläne gehabt. Ich stürzte mich damals regelrecht in das Karate-Training. Ich arbeitete zu dieser Zeit in Japan, ebenfalls als Taucher. Für alle Orte, an denen ich arbeitete, gab mir Meister Kisaki Empfehlungsschreiben mit, damit ich auch dort Karate-Do trainieren konnte.

Wie würdest du Meister Kisaki und eure Beziehung zueinander beschreiben?
Meister Kisaki war ein großartiger Kampfkunstexperte, Lehrer und Mensch. Er kannte die Geschichte der Kampfkunst, war China- und Okinawa-Experte und auch Meister im Judo. Er hatte viele Länder bereist, z.B. Australien, Brasilien, China, Taiwan, Indonesien, Latein-Amerika, die USA und Europa. Bis zu seinem Tod im Jahr 1996 war er 19 Mal in Deutschland und ich habe ihn ebenso oft in Japan besucht. Trotz seiner großen Erfahrung war er immer bereit, zu lernen. Er war ein Optimist und sah stets das Gute im Menschen. Er war und ist mein Vorbild und ich habe sehr viel von ihm gelernt. Ich war sein Soto Deshi, sein >äußerer Schüler<. Dass wir uns begegnet sind, war ein Glücksfall. Als Ausländer war ich in gewisser Hinsicht der optimale Schüler für Meister Kisaki. Japaner wie er, die etwas Positives mit China verbanden, konnten das anderen Japanern gegenüber nicht so zeigen wegen der Vorbehalte. Ich aber habe das alles regelrecht in mich aufgesogen und dadurch sehr viel zusätzliches Wissen erworben. In China ist es z.B. so, dass hinter jeder Kata eine Geschichte steht. Hinter der Kata Seisan sogar dreizehn Geschichten, die alle einen Bezug zur Kata haben, bei ihrem Verständnis helfen. Das wurde in Japan aber nicht so gut angenommen, weil es eben chinesische Geschichten waren.

Die Beziehung zwischen Meister und Schüler sollte sich also nicht auf das Vermitteln und Erlernen der reinen Technik beschränken, oder?
Nein. Der Weg ist immer die Menschwerdung. Das Wichtigste im Karate-Do ist die Charakterschulung. Ich habe so viele Menschen kennen gerlernt, die sind sehr gut im Sport, aber eine Charakterschulung haben sie nicht genossen. Das ist eine Aufgabe, die der jeweilige Sensei wahrnehmen sollte. Deswegen bist du in Japan erst ein Sensei, wenn du den vierten Dan hast. Vorher dürftest du dort niemals ein Dojo gründen. Erst mit dem vierten Dan traut man jemanden zu, einen anderen zu führen. Und diese Verbindung bleibt dann auch ein Leben lang – trotzdem der Schüler den Meister technisch überflügeln kann. Ich habe viele Schüler, die haben ganz andere Voraussetzungen als ich, die sind schneller und besser. Aber es geht ja auch um das Innere und um das Wissen.  Wie verbindet man das? Du musst immer ein Vorbild sein. Nicht im Technischen, nein – in deinem Verhalten. Die Chinesen sagen nicht umsonst: >Durch Karate wirst du zum Mensch.< Du wirst einfach angenehm, jemand, den jeder mag wegen seiner Art; der in seinem Verhalten und darin, wie er sein Leben führt, beispielhaft ist. Das ist etwas sehr Wichtiges im Karate: Die Dojokun. Wie ist die Dojo-Etikette, wie muss ich mich in einem Dojo verhalten? Da sind unsere schlechten Eigenschaften, die wir im Einklang halten müssen mit den guten. Das ist eine große Herausforderung und eine große Verantwortung. Und für uns ist die chinesische Philosophie nicht immer leicht zu verstehen, weil sie so ganz anders ist. Ich will dir ein Beispiel geben: Wenn du zu Hause im Wohnzimmer eine Kata machst, warum verbeugst du dich dann danach?

(Überlege.) Um die Kata für mich zu einem richtigen Abschluss zu bringen? Karate-Do beginnt und endet mit Respekt.
(Schmunzelt.) Wenn du zwei Jahre in China gelebt hättest, würdest du das vielleicht noch besser verstehen. Das hat etwas mit den Dojokun zu tun. Respekt ist immer dabei. Und Demut. Warum macht man überhaupt eine Kata? Sie ist unser Lehrbuch. Wir sind aufgefordert, aus ihr zu lernen, unseren individuellen Weg zu gehen. Bei allen chinesischen Kata ist das gleich, wir visualisieren einen Kampf. Wir verteidigen uns erfolgreich gegen einen Gegner, kontern und schließen das ab. Das machen wir acht oder zehn oder zwölf Mal. Dabei kann es uns dann passieren, dass wir arrogant werden. Dass du stolz wirst, unerträglich für andere, weil du den Kampf bestanden hast. Man kann das manchmal bei Sportlern beobachten. Und durch die Verbeugung am Ende der Kata machst du dich wieder klein, wieder zu dem, der du vorher warst. Hast du das verstanden?

Danke, ja, das habe ich verstanden.
Weißt du, das ist das Wichtige, dass man immer wieder gegen die schlechten Eigenschaften angeht. Du hast nämlich 108 schlechte Eigenschaften…

…und 108 gute…
(Lächelt.) Ganz genau. Das ist ja das Gute! Yin und Yang: Das Gute im Schlechten, das Schlechte im Guten. Deshalb macht es doch alles Spaß! Was meinst du, warum ich nach so langer Zeit noch Karate mache? Ich lerne ja auch noch! Das ist doch das Faszinierende an unserer Kampfkunst – dass wir immer noch weiter lernen können. Wo gibt es so etwas denn sonst? Dass du mit so viel Erfahrung und 81 Jahren immer noch lernen kannst? Das macht Karate-Do zu einer Kunst. Der Sport hat natürlich eigene Gesetze und auch einen hohen Wert für junge Menschen, gerade in der heutigen Zeit. Meine Kinder waren auch alle Deutsche Goju-Ryu Meister. Aber Karate-Do ist eben viel mehr als nur Technik. Wenn du Karate verstehen willst, musst du immer wieder zu den Wurzeln der Kampfkunst gehen. Und du musst wissen, wer du bist. Du musst über die Charakterschulung auf die Suche gehen nach dir selbst. Du musst dir immer wieder die Fragen stellen: >Wer bist du eigentlich?< und >Wohin will ich denn?<

Karate-Do ist also mehr als nur ein Sport. Karate-Do ist eine Lebensschule…
Ganz genau. Durch jahrelanges Training baust du Selbstvertrauen auf und dies verhilft dir zu einer positiven Einstellung. Und dadurch ist die Lebensqualität… super! (Lächelt). Bald werd’ ich 81 – aber wirklich: Ich bin ein ganz glücklicher Mensch! Ich hab’ vor gar nichts Angst! Weder vor dem Tod, noch vor Krankheit… wirklich vor gar nichts. Wenn du heute ältere Menschen siehst, ich treffe ja viele, das ist der blanke Horror – die haben alle Angst! Vor irgendwas! Und wenn es nur die Rentenkürzung ist… Die versauen sich ihre Lebensqualität. Das darf man nicht machen – ich bin für eine positive Einstellung! Du musst nach vorne schauen und an dich glauben. Früher haben sie mir schon gesagt: >Fritz, du kannst doch nicht mit dem Fahrrad nach Australien fahren – du musst an deine Rente denken!< (Lacht.) Weißt du, dann hätte ich ja nie etwas geschafft….

Du hast so viel erlebt und so viel erreicht. Kannst du da für die Zukunft überhaupt noch neue Ziele formulieren?
Na klar! Ich – oder ich muss sagen >wir<, denn meine Frau und ich sind jetzt seit 55 Jahren verheiratet und bilden daher eine Einheit – wir reisen so gerne und da haben wir dieses Jahr und auch das nächste schon verplant. Zwar werde ich demnächst 81, aber wir haben eine sehr positive Einstellung. Man muss doch Pläne machen, sich für irgendwas entscheiden! Viele Leute können das leider nicht. Überhaupt bin ich sehr interessiert, beschäftige mich auch mit dem Computer, erstelle Unterlagen für all meine Lehrgänge usw.

Wie verändert sich das Karate-Do mit dem Alter?
Im Karate fängt man ganz breit an und beschäftigt sich mit vielem, aber dabei ist man immer auf der Suche nach den für einen persönlich passenden Techniken. Welche Verteidigung traust du dir zu? Welchen Konter setzt du ein? Welche Waffe? Wir haben ja zwölf Fäuste, 48 Waffen tragen wir in uns! Mit dieser Vielfalt setzt du dich auseinander, bist aber immer auf der Suche nach deinen Möglichkeiten. Da die Leute heute viel älter werden, verändern sich die Dinge natürlich. Als ich noch 40 war, habe ich viel mehr mit der Kraft gearbeitet. Mit 50, 60 kommt die Erfahrung, die Abgeklärtheit und innere Ruhe. Du bist dann aber viel besser, viel genauer – auf den Zentimeter genau! Wenn man noch älter wird, fehlt irgendwann die Beweglichkeit, die Schnelligkeit, also brauchst du dann Techniken, die dir über die Kunst helfen, den Gegener zu besiegen. Wir machen natürlich nicht Karate, um uns zu >kloppen<. Aber der Mensch trägt das in sich, weil wir auch immer in einer Gefahr schweben. Das gilt natürlich besonders für Ältere und für Frauen. Wir beide haben da sozusagen das gleiche Schicksal: Wir sind schneller mal Opfer. Und da hilft uns Karate. Auch dabei, unsere Angst zu bewältigen. Wie kann der Kleine den Großen besiegen, der Alte den Jungen, die Frau den Mann – darum geht es in unserer Kunst!

Hast du eine Lieblings-Kata oder eine Lieblingstechnik?
Natürlich habe ich das. Ich mag die Drachentechnik. Kake Uke ist auch gut. Damit kann ich gerade jetzt in meinem Alter etwas anfangen.

Solche Vorlieben verändern sich bestimmt auch mit der Zeit, oder?
Ja, das tun sie. Als junger Mensch arbeitest du immer mehr mit deiner Kraft, ob du willst oder nicht. Wirst du dann älter oder machst einen höheren, einen technischen Dan-Grad, dann muss auch die gute Technik zu sehen sein. Der vierte Dan bildet da einen Abschluss. Der fünfte Dan ist dann ein Dan-Grad des Wissens, da musst du wirklich erklären können, was du zeigst und das können nicht viele. Das ist eine Gabe, die hat nicht jeder. Du musst dann auch ein Lehrer sein und es den Leuten so erklären können, dass sie es verstehen. Und ich meine nicht dem Besten in deiner Gruppe, nein! Sondern dem Kleinsten. Du solltest dir wirklich mal eine Dan-Prüfung im Goju-Ryu ansehen… Teilweise sind 200 Zuschauer  dabei und es ist mucksmäuschenstill. Ich verstehe nicht, warum die Dan-Prüfungen bei euch im Shotokan nicht öffentlich sind. Wir haben im Karate doch keine Geheimnisse. Es gibt nur schwierige Wege, aber keine Geheimnisse.

Keine Geheimnisse? Aber doch schon Dinge, die man sich erarbeiten und verdienen muss, oder? Welches die Shin-Gi-Technik in einer Kata ist, das verrätst du doch zum Beispiel nicht einfach so…
Nein, da musst du selbst dahinter kommen. Und wenn du neugierig bist, dann schaffst du das auch. Die Voraussetzungen für eine Shin-Gi-Technik sind doch ganz einfach: Du kannst sie mit einer Hand machen, mit der Faust, mit der offenen Hand, mit beiden Händen, die eine kann offen und die andere geschlossen sein, du kannst sie nach Jodan, Chudan und Gedan ausführen. Damit ist eigentlich schon alles erklärt und du musst es nur anwenden. Es gibt keine Geheimnisse, es ist nur nicht alles sofort sichtbar. Wenn der Lehrer alles sofort verrät, dann ist der Schüler nicht mehr neugierig. Shin-Gi-Techniken habt ihr im Shotokan übrigens auch. In den chinesischen Chung-Wo-Kata zumindest – davon habt ihr zehn. Aber viele Karateka der ersten Generation konnten sich damit nicht befassen, weil sie von Japanern gelernt haben, für die der Sport im Vordergrund stand. Die zweite und dritte Generation ist da aber schon viel neugieriger.

Olympia 2020?
Wenn Kata auch dabei ist, bin ich schon dafür. Wir müssen mit der Zeit gehen. Früher war gar nicht alles besser. Im Gegenteil. Aber es gibt da natürlich einen Unterschied zwischen dem Sport und Karate-Do. In Japan sagt man auch „Karate no assubo” – das heißt so viel wie „Karate spielen” oder „Geschicklichkeit beweisen”. Du darfst ja beim Sport keinen treffen. Und im Ernstfall, da gehe ich doch immer eine halbe Faust weit durchs Ziel hindurch. Die Distanz ist also z.B. eine ganz andere.

Früher war nicht alles besser… wie wichtig ist aber die Tradition?
Wichtig. Viele Vereine haben gar kein Kamiza. Die sagen: >Was soll ich die Götter anbeten?< Diese Meister sind doch aber meine Vorbilder, die haben uns etwas hinterlassen und das respektiere ich. Wir beten da doch keine Götter an! Ich bin sowieso Atheist. Aber ich habe einen Glauben und ich habe Hoffnung. Ich bin ja auch schon krank gewesen, musste operiert werden. Da hofft man natürlich. Aber ich habe auch da nie gemotzt – das würde doch gar nicht zu mir passen, oder?

Nein. Was wünschst du dir für das Karate in Deutschland für die Zukunft?
Noch mehr Förderung für den Breitensport, für das Karate-Do. Noch mehr Schulungen für die Trainer, gerade außerhalb des sportlichen Bereichs. Insgesamt läuft es aber doch wirklich gut!

Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview wurde in der Karate Aktuell 3/2016 veröffentlicht.

Die nächsten Termine:

april

27apr10:0014:00Prüfer:innenlehrgang Wado-RyuDüsseldorf, Turnhalle Brehmschule

28apr10:0018:00Landesmeisterschaft Jugend, Junior:innen, u21Oberhausen, Willi Jürissen Halle

mai

04mai10:0022:00Cologne OpenKöln, Gesamtschule Stresemannstraße

10mai(mai 10)19:3011(mai 11)7:30Krefelder Kata-NachtKrefeld-Zentrum

11mai16:3017:30Mitgliederversammlung der Stilrichtung GOJU-Ryu im KDNWKamen, Schulzentrum, Halle 2, erstes Drittel

18mai10:0014:00SOK-Lehrgangsreihe SelbstverteidigungBottrop, Grundschule Schürmannstraße, Zugang über Straße Lichtenhorst

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