Aus unseren Dojos: Von Ecken und Kreisen – Karate trifft Geometrie

Was hat Geometrie mit Selbstverteidigung und Kata zu tun? Antworten darauf gab’s jetzt im Kisaki Karate-Do Münster. Bei Themen wie „360°-Selbstverteidigung“ und den „8 Karate-Ecken“ gab’s quasi geballte Mathematik – inklusive Lösungen für scheinbar unberechenbare Angriffe. Hochkarätige Trainer sorgten dafür, dass die mehr als 70 Teilnehmer:innen aus vielen Teilen der Republik mit neuen Impulsen fürs Training versorgt wurden. Für alle, die nicht dabei sein konnten, hier eine kleine Zusammenfassung.

Die 8 Karate-Ecken: Orientierung für Kata und SV

Vier Karate-Gürtel auf dem Hallenfußboden sternförmig übereinanderlegen, und schon hat man sie, die „8 Karate-Ecken“. Judith Niemann (6. Dan) machte für alle anschaulich, welche unterschiedlichen Kampf-Richtungen bzw. -Linien es gibt, die entweder defensives oder offensives Handeln erfordern. Neben der Geometrie gab’s auch ein kleines Vokabeltraining: Judith ging auf die drei Konzepte ein, mit denen ein Angriff beantwortet wird:

  • Go No Sen: Es wird primär der Angriff umgeleitet, bevor ein Gegenangriff startet
  • Sen No Sen: Angriffsumleitung und Gegenangriff werden zeitgleich ausgeführt
  • Sen Sen No Sen: Der erwartete Angriff wird durch einen „Präventivschlag“ vereitelt.

„Je nach Aktion bewegen sich Angreifer und Verteidiger in Richtung dieser 8 Ecken. Diese Darstellung hilft auch, im Training die Reaktion auf Angriffe einzuüben und damit zu automatisieren“, so die Trainerin des Gastgeber-Dojo Kisaki Münster.

Richtungswechsel statt nur „vor und zurück“

Das Prinzip findet sich übrigens auch in der Kata wieder. Während im Training meistens nur „vor und zurück“ geübt wird, stecken die Katas voller interessanter Richtungswechsel. So manchem Teilnehmer wurde das jetzt erst bewusst. „Mir ist es wichtig, dass die Karateka sich genau mit ihrer Kata beschäftigen“, betont Judith. „In den Dan-Prüfungen sieht man häufig Bunkai, die mit der Kata wenig zu tun hat. Hanshi Fritz Nöpel hat uns aufgefordert, uns detailliert mit den Techniken auseinanderzusetzen. Und dazu gehört eben auch die Orientierung in die jeweiligen Richtungen, die in der Kata ja nicht zufällig gewählt sind.“

Selbstverteidigung im Kreis: Die Kunst der Wahrnehmung

Hanshi Uli Heckhuis (9. Dan) legte in seinen Einheiten den Themenschwerpunkt auf Selbstverteidigungsübungen im Kreis. „Wenn ich als Karateka im Kreis stehe und mit grundsätzlich bekannten Techniken angegriffen werde, muss ich blitzschnell reagieren und mich für eine Lösung entscheiden“, erklärt er. Da die Angreifer schnell hintereinander oder teilweise auch gleichzeitig die Person im Kreis attackieren, darf der Verteidiger keine Zeit verlieren und muss gleichzeitig alle Angreifer „im Auge behalten“, also wahrnehmen. Diese besondere Art der Wahrnehmung wird im Karate-Do auch als Zanchin bezeichnet.

  • Unter Zanchin wird ein körperlicher und geistiger Zustand der erhöhten Wachsamkeit, Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und Konzentration verstanden.

Besonders wichtig ist dabei: Auch nach einem abgewehrten Angriff muss der Verteidiger im Zanchin bleiben. Denn im Kreis gilt es, den Angriff direkt abzuwehren (Sen No Sen, siehe oben). „Benötigt der Verteidiger zu viel Zeit nachdem er angegriffen wurde, wird der nächste Angreifer seinen Angriff ausführen können. Bindet sich der Verteidiger durch komplizierte Hebel oder Würfe zu lange an einen Angreifer, wird er vom nächsten Angreifer besiegt“, erklärt Uli. Bis in die 1990er Jahre sei es zumindest im Yuishinkan Goju-Ryu gängige Praxis gewesen, die Selbstverteidigung im Kreis auch bei der Schwarzgurtprüfung zu zeigen. Durch diese Anforderung spielte die Übung im regulären Training eine größere Rolle als heute.

Für viele Teilnehmer:innen war es ein sehr ungewohntes, teils stressiges Erlebnis. Mit dem Training im Kreis bzw. aus dessen Mitte heraus nähert sich der Karateka der freien Selbstverteidigung.

Angriffe aus allen Richtungen: Das Unberechenbare beherrschen

Der Selbstverteidigungs-Experte Kyoshi Jürgen Kestner (7. Dan) setzte seinen Themen-Schwerpunkt in die noch freiere Situation. In seiner Einheit ging’s um überfallartige Angriffe aus allen Richtungen, die immer häufiger in der Realität vorkommen.

Kestner, im Beruf Polizei-Ausbilder, legte insbesondere den Trainern ans Herz, sich mit der Positionierung im Kampf zu befassen – inspiriert von dem Buch „Meine Reise. Ins Herz der Kata.“ von Fritz Nöpel und Martin Nienhaus. Mit fordernden Übungen thematisierte Jürgen Angriffsarten in der mittleren und der nahen Distanz. Die Karateka bekamen eine Idee, was es bedeutet, die antrainierten Routinen hinter sich zu lassen und mit enormer Wachsamkeit durch eine Situation hindurchkommen zu müssen.

Positives Fazit der Ausrichter – nächster Termin 2024 in Vorbereitung

Von der formalisierten Kata und ihren festgelegten Richtungen über die Drills im Kumite-Kreis bis zur freien Selbstverteidigung – nach den drei Einheiten stand einigen die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. „Alles in allem war es wirklich eine runde Sache“, freut sich Dojoleiter Kay Frey: „Wir hatten über 70 Gäste aus ganz Deutschland bei uns und suchen schon jetzt nach dem Termin für 2024!“.

Die Trainer:

  • Hanshi Uli Heckhuis (9. Dan), TuS St. Arnold, Kontakt
  • Jürgen Kestner (7. Dan), Verein?, Kontakt
  • Judith Niemann (6. Dan), Kisaki Karate-Do Münster, Kontakt

Text: Judith Niemann und Reinhild Haacker
Fotos: Uwe Helmke und Stephan Junker

(ema)

Die nächsten Termine:

mai

25mai9:0012:00Stilrichtungslehrgang Kempo: Kobudo - SaiWesel, Petristr.

25mai10:0014:00Stilrichtungslehrgang Wado-RyuDüsseldorf, Turnhalle Brehmschule

25mai10:0014:00SOK-Lehrgangsreihe KobudoKall

25mai10:0015:30Dansha-Lehrgang Goju-RyuSporthalle der TG Neuss

25mai10:0018:00Goju-Ryu CupSchifferstadt, neue Kreissporthalle

25mai10:0018:00Düsseldorf CupDüsseldorf, Gymnasium Koblenzer Straße

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