Die Kampfkunst der Inneren Schule: Nicht-Handeln im Einklang mit der Natur (Teil 1 von 2)

Sucht man nach den Wurzeln des Karate-Do, so wird man unweigerlich auf das Shaolin-Kloster am Berg Shaoshi treffen. Hier soll der legendäre indische Mönche Bodhidarma (jap.: Daruma) Anfang des 6. Jahrhunderts den Chan-Buddhismus und den Shaolin-Kampfstil begründet haben. Auf ihn werden u. a. die fünf Tierstile (Wuquan: Drache, Schlange, Leopard, Tiger und Kranich) zurückgeführt. Die Techniken wurden permanent weiterentwickelt, und es entstand ein hochkomplexes Kampfsystem aus athletischen, harten und schnellen Techniken mit und ohne Waffen. Das buddhistische Kloster und seine kämpfenden Mönche genossen in China hohes Ansehen und wurden ab Mitte des 14. Jahrhunderts von der regierenden Ming-Dynastie stark gefördert.

Zu dieser Zeit bildete sich im Wudang-Gebirge ein zweiter großer Brennpunkt der Kampfkünste. Verbunden ist er mit dem Namen Zhang Sanfeng, einem daoistischen Gelehrten, der als Eremit in den Bergen lebte. Der Legende zufolge soll er den Kampf einer Schlange mit einem Kranich beobachtet haben. Durch Flexibilität und runde Bewegungen gelang es der Schlange, sich der Attacken des Vogels erfolgreich zu erwehren, was Zhang Sanfeng zur Schaffung eines Kampfstils mit weichen und fließenden Aktionen inspirierte. Er wurde zum Protagonisten der „Inneren Schule“ des Faustkampfes (Neijiaquan); vielleicht als Gegenpol zu Bodhidharma, der als Begründer der „Äußeren Schule“ (Waijiaquan) mit ihren harten und geraden Techniken gilt.

Was aber ist das Spezifische der Kampfkunst der Inneren Schule? Was ist das Prinzip, das allen Bewegungen, Techniken und Anwendungen zugrunde liegt?

Innere vs. Äußere Schule

Einige Autoren bezeichnen es als intuitives Handeln, das einsetzt, bevor der Gegner seine Absicht in die Tat umsetzen und seine Kraft/Energie sich entfalten kann. Zum Einsatz kommt dabei die „innere“ Kraft, die sich von der rein muskulären unterscheidet. Es ist ein Nicht-Handeln im Einklang mit der Natur (chin.: Wuwei), das sich durch Weichheit und Elastizität auszeichnet und durch das Zusammenwirken von Muskeln, Qi und Geist entsteht. Das Gleiche könnten aber auch Vertreter der Äußeren Schule für sich beanspruchen! Oftmals wird die Innere Schule auch dahingehend definiert, dass ihre Bewegungen langsam, meditativ und friedlich sind. Doch wo bleibt da die Kampfkunst? Vielleicht hilft uns ein Blick in die Geschichte, um dieses Dilemma zu lösen!

Zeit des Wandels: Kampfkunst wird öffentlich

Jahrhundertelang wurden die Kampftechniken zumeist nur innerhalb der Familie oder eines begrenzten Kreises weitergegeben. Dies änderte sich, als nach Ende des Boxerkrieges (1901) und des chinesischen Kaiserreiches (1912) die Bedeutung der traditionellen Kampftechniken gegenüber den modernen westlichen Waffen stark sank. Viele Kampfkünstler, die als Soldaten, Polizisten und Leibwächter arbeiteten, verloren ihre Arbeitgeber und eröffneten eigene Kampfkunstschulen. Die bisher geheim gehaltenen Formen und Partnerübungen wurden einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Um die Attraktivität zu erhöhen und einen großen Verbreitungsgrad zu erreichen, wurden oftmals schwierige Passagen durch einfache und schnelle Techniken durch langsame ersetzt.

Die Nachfolger des Zhang Sanfeng

Am Pekinger Forschungsinstitut für Körperertüchtigung untersuchte ab 1914 eine Gruppe bekannter Kampfkunstlehrer die Geschichte der Kampfkünste als chinesisches Kulturgut. Taijiquan, Baguazhang und Xingyiquan wurden als die legitimen Nachfolger des legendären Kampfstils von Zhang Sanfeng identifiziert. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sowohl über Handformen und Partnerübungen als auch über Waffenformen mit Schwert, Säbel und Speer (Stock) verfügen.

Schwert und Säbel

Das Schwert (Jian) war die Waffe der Offiziere. Es hat eine gerade, beidseitig geschliffene Klinge, die zur Spitze hin dünner und schärfer wird. Dabei sollte es nicht leicht zerbrechen, was die Herstellung teuer machte. Die Handhabung ist nicht mit der von europäischen Schwertern vergleichbar, wie wir das aus Ritterfilmen kennen. Der Schwerpunkt des chinesischen Schwertes liegt in Richtung des Griffes, sodass die Techniken mit einer Hand ausgeführt werden können. Zwar nimmt dies Schlägen die Wucht, doch wurde es eher wie ein großes Skalpell geführt, um Angriffe abzulenken sowie Schnitte und Stiche zu setzen. Ziele waren die Gelenkstellen der Rüstungen: Fuß, Knie, Leiste, Handgelenk, Ellbogen, Achsel und Hals. Die Schwertformen heute werden zumeist langsam ausgeführt.

Der Umgang mit dem Säbel (Dao) ist da etwas dynamischer. Dieser ist leicht gebogen und wird als Hieb- und Stichwaffe genutzt. Er hat nur eine Schneide, was den Vorteil hat, dass er nahe am Körper geführt und bei Abwehren mit der anderen Hand gestützt werden kann. Seine Herkunft geht auf die mongolischen Reitersäbel zurück. In China wurde er von Fußsoldaten, meist in Verbindung mit einem Rundschild, gegen andere Infanteristen eingesetzt. Die Säbelformen zeichnen sich hauptsächlich durch runde Bewegungen aus.

Schwert und Säbel sind heute am Knauf zumeist mit farbigen Quasten oder Tüchern versehen, was einen schönen optischen Effekt darstellt. In den kriegerischen Zeiten waren an dieser Stelle Lederriemen, mit denen die Waffe am Handgelenk festgebunden war, damit sie nicht zu Boden fiel, wenn sie aus der Hand geschlagen wurde.

Speer und Stock

Der Speer (Jiang) ist auch heute noch eine Waffe, die schnell geführt wird. Sie ist leicht und kostengünstig herzustellen und kann je nach Anwendungszweck in der Länge variieren. Infanteristen kämpften mit langen Speeren gegen die Kavallerie, mit kurzen gegen andere Fußsoldaten. Diese Waffe lässt sich für Stiche auf Distanz und für Schläge/Stöße mit dem Schaft im Nahkampf einsetzen.

Außerdem kann man mit dem Speer die Beine des Angreifers wegschlagen oder auch mit der Spitze Dreck in die Augen des Gegners werfen, um danach sofort zuzustechen. Unterhalb der Spitze findet sich meist ein rotes Büschel von Haaren. Hier wurde früher ein Stück Pferdeschweif angebracht, um zu verhindern, dass das Blut der Gegner den Schaft herablief und diesen verklebte.

Warum anstelle des Speeres in den Kampfkünsten auch häufig der Stock (Gun) eingesetzt wird, erläutert diese kleine Anekdote: Die Frau von Yang Luchan, dem Begründer des Yang-Stils des Taijiquan, ärgerte sich fürchterlich darüber, dass sie immer wieder die Kleidung ihres Mannes und ihrer Söhne flicken musste, da diese mit Speeren gegeneinander kämpften. Eines Tages wurde es ihr zu viel: Sie montierte die Spitzen ab und versteckte diese, sodass die Herren gezwungen waren, mit Stöcken zu kämpfen.

Die Stile – des Rätsels Lösung?

Der stilübergreifende Blick auf die bekanntesten Waffen gibt uns noch keine Antwort, was das Spezifische der Inneren Schule ist. Um sich zur Wehr zu setzen, musste schnell agiert werden. Die Kämpfer der Äußeren Schule übten aber auch langsam, um Bewegungen in Feinstform einzuüben.

Vielleicht hilft uns die Betrachtung der einzelnen Stile, dem „Geheimnis“ der Inneren Kampfkunst auf die Spur zu kommen.

Teil 2 lesen…

Text und Übungsfotos: Dieter Kießwetter
(ema)

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